Falkner,
(1970, Autriche)





La Poésie en ce temps
Qui nous sommes
Une asbl, pour quoi faire ?
L'équipe
31 mars - 2 avril 2017
15-17 avril 2016
24-26 avril 2015
25-27 avril 2014
12-14 avril 2013
20-22 avril 2012
01-03 avril 2011
23-25 avril 2010
24-26 avril 2009
11 mars 2009
18-20 avril 2008


Biographie


1970 geboren in Kollerschlag, Österreich. Arbeitet und lebt in Wien und Algier. Dekliniert in ihren Arbeiten Taktiken der Konfrontation, Pathos und Utopie.

Promovierte in Politischer Psychologie (zum Thema Verbale Konstrukte).

Seit 2005 Literatur- und Kunstprojekte: Bücher und Manifeste, Hörspiele. Ein Werk an der Schnittstelle Sprache/Text und Körper/Performance.

FALKNER versteht ihre Bücher, Hörspiele und Interventionen als Manifestationen. Doktrinär und unduldsam, die Verweigerung traditioneller Kommunikation, Stellungnahme in ihrer radikalen Subjektivität, ihrer Unbedingtheit, ihrem Manifestcharakter. FALKNER verfasst und verkündet Manifeste, achtunddreißig sind bisher entstanden und in den unterschiedlichsten Zusammenhängen (Verkündung im Radio, Performance, Intervention, Installation, Abdruck in diversen Medien etc.) verkündet worden. Unterstrichen wird hierin der performative Charakter eines Textes, als eine Form des Proklamierens und Postulierens. Das Prinzip Verausgabung. Ein Duktus wird zur Bühne. – Also performative, schriftüberschreitende Elemente sprachkünstlerischer Arbeit, Texten ihr immanent physisches zurück zu geben, den körperlich-materiellen Charakter offen legen.

Preise und Stipendien
- Staatsstipendium für Literatur des bmukk 2011/12
- Förderpreis der Stadt Wien 2010
- Projektstipendium für Literatur des bmukk 2010/11
- Adalbert-Stifter-Stipendium 2009
- Theodor Körner Preis 2008
- Elias-Canetti-Stipendium 2008
- Staatstipendium für Literatur 2006/07
- div. Arbeits- und Werkstipendien

Buchveröffentlichungen
„Du blutest, du blutest“ (Residenz Verlag, 2011).
„Kaltschweißattacken. Requiem für vor Euphorie aufgeschlagene Knie“ (Residenz Verlag, 2009).
„Falkner II. Eine Moritat in siebzehn Bildern“ (Czernin-Verlag, 2006).
„Jemanden auf einem verwilderten Grundstück finden – geltend machen am Maschendrahtzaun. Ein Stationendrama.“ (In: „Stimmenfang. Neue Texte aus Österreich“, Residenz Verlag, 2006).
„A Fucking Masterpiece“ (Czernin-Verlag, 2005).


Poème



Manifest 37

Wie das ist, die eigene Kindheit keinesfalls überleben wollen, den Himmel immer Himmel nennen?

I.
Früher Morgen.
Mutter bringt mich zur Welt und stirbt dann.
Ein mal eins ist, eins.
Ein mal zwei ist, zwei.
Ein mal drei ist, drei.
Und dann.
Mit offenem Mund, blanken Augen bloß Schrammen am Kopf hebe
ich die Hand: Ja, ich bin hier.

II.
Nur vereinzelt brennen Lichter.
Der Strom wird drei, vier Mal am Tag abgeschalten, aufgehalten
werden mittendrin.
Hinter den Häusern die Wiese, ein Fußballplatz und dann kommt der
Wald, dort steht ein altes Riesenrad das sich nie dreht.
Bei uns zu Hause weinen immer alle beim Geburtstagsliedersingen,
sind ergriffen an so einem Tag.
Ich bin dieser kleine Junge, der am Parkplatz immerzu im Kreis läuft.
Bin drei Jahre alt.
Nichts hat begonnen.
Wo ist er, der Anfang der Liebe?
Sag!

III.
Bis ich sechs bin darf ich noch manchmal Fußball spielen, dann aber
turne ich nur mehr in Turnsälen.
Jeden Tag, fünf bis sieben Stunden lang.
Jagen uns die Sprossenleiter rauf und runter.
„Ganz hinauf!“
„Und wieder runter.“
„Und wieder rauf.“
„Runter.“
„Und wieder rauf.“
„Nein, nein, nein, ganz hinauf.“
Jagen uns durch den Turnsaal.
„Lauf!“
„Einmal rundherum.“
„Noch einmal.“
„Noch einmal.“
„Schneller, schneller, schneller“, zehn, zwanzig, dreißig, vierzig Mal,
bis wir erschöpft zusammenbrechen.
Dann schlagen sie uns ins Gesicht „Strafe muss sein“.
Immer ins Gesicht.
Mit der flachen Hand.
Aufsässige Kinder betäuben und aus dem Turnsaal schaffen, dürfen
nie mehr wiederkommen, nie mehr turnen unter Anleitung.
Leerstehende Wohnung werden angefüllt mit Kindern, ihre schwachen
Körper sitzen in Rollstühlen drängen sich in lautstarker Verzweiflung
um leere Tische.
Manchen sind die Beine am Bettgestell festgebunden, manchen die
Hände mit Stoff umwickelt damit sie sich die Wunden nicht dauernd aufkratzen.
Kleine Jungs drehen sich wie Kreisel um sich selbst, reißen sich die
Wimpern aus.
„Gib mir deine Lippen“ fallen sie übereinander her, beißen in die
Unterlippe, Blut läuft über das Kinn „oder ich ritze dir etwas ins Gesicht“.
Schreie in der Dunkelheit.
Kein Mensch hält das aus.
Keiner.
Wenn ich groß bin, werde ich Feuerwehrmann werde sie alle retten.

IV.
Wo Vögel im Wald die Katzen töten und keine sich wehrt.
Wo Kinder Autos anzünden, fünf Tage brauchen um überhaupt davon
zu erzählen, dass heuer der Geburtstagskuchen gestrichen wurde und
das erst der Anfang sei.
Eine Mauer dreieinhalb Meter hoch und dass es mit dem Versprechen
„Alle Menschen werden Brüder“ nichts werden wird, der sanfte Flügel
weggebrochen schlagen wir die Türen ein und schreien, danach verlässt uns der Mut.
Warum schützt die Armee uns nicht?
Wer hat das Recht?
Ein mal eins ist, eins.
Zwei mal eins ist, zwei.
Drei mal drei ist, drei.
Die Nachtigall, die Nachtigall.
Wovon sollen wir träumen?

V.
Im Turnsaal die Leiter hoch steigen, durch die Oberlichte nach
draußen schaun gemeinsam weglaufen, da bin ich zehn.
„Komm gib mir deine Hand“, mein Vater holt mich gegen Geld
heraus, „merk dir alles und wiederhole es im Stillen immer und immer
wieder“, ich kann in seinen Augen sehen wie nervös er ist, er kaum
mehr isst und spricht.
Dann werden wir hierher gebracht.
In einen Raum mit Fernseher.
Wir dürfen lachen und uns ein wenig bewegen.
An jedes Kind verteilen sie ein Stück Schokolade und eine Dose Saft,
schon nach zwei-, dreimal Wasser nachfüllen ist der Saftgeschmack
ganz weg, aber ich kann ihn nicht mehr vergessen.
„Wir haben ein Boot, acht Meter lang und zweieinhalb Meter breit.“
Ich falte mich zusammen, lege mich in die Ecke.
Die Zahl der Toten steigt unterdessen auf elf, sie werden über Bord
geworfen „dem weinenden Kind den Mund zuhalten“.
Wir sind jetzt auch Beschuldigte.

VI.
Eine Tasche mit Sachen vollgepackt laufen wir los der Welt
hinterher, der Welt sich entgegen werfen, die Welt will uns aber
nicht haben will uns wieder fortschicken.
Ich sei zwar frisch gewaschen aber das sei ja nur vorübergehend,
das reiche bei weitem nicht die Haare zerzaust, die Augen
entzündet, noch immer Dreck unter den Nägeln.
Tag fünf.
Eines Morgens an der Grenze nur noch zwanzig Minuten Fußweg
bis zum Bahnhof.
Schultern eng geschlossen.
Wo wir uns verstecken können.
Zufluchtsorte.
Es geht los.
Und dann ist alles auch schon wieder vorbei: „Willkommen,
willkommen!“
Großaufgebot.
Überall.
Ich muss Fragen beantworten.
Fragen über mich.
„Was für ein Land?“
„Wie heißt du?“
„Was ist heute für ein Tag?“
„Was für ein Datum?“
„Sag!“
„Wie alt bist du?“
„Warum bist du hierher gekommen?“
„Wann war das?“
„Wann?“
„Weißt du das?“
„Vor einer Woche?“
„Zeig her!“
„Du irrst dich.“
„Wie heißt du?“
Ivan.
Falsch.
Ganz falsch.
Jedes Mal wenn der Innenminister den Löffel zum Mund führt
treten seine Augen hervor, er ist ein Angsthase so wie alle
Innenminister, „sämtliche Tiere töten“ sagt er, so sie nicht scheu
genug blickten.
Klopft seinen Beamten auf die Schulter, „ja ihr könnt sie vom Rad
schießen ohne erkennbares Motiv“.
„Den einen frisst das Krokodil, da warens nur noch acht.“
Ich höre im Dunkeln halblaut gesprochen, Anweisungen,
Antworten, Fragen.
Während die einen stumm bleiben schreien andere „aufhören!“
Während sie schreien drehe ich den Wasserhahn auf, das Wasser
laufen lassen sprachlos sein.
Viele geben ihren Fluchtversuch gleich wieder auf.
Wie das ist, einander nicht mehr wieder sehen.
Wie das ist, einer sehr starken Partei gegenüber stehen, die sich
nicht darum schert, ob du stirbst oder nicht.
Zu wissen: Jeden morgen bringen sie einige von uns um.
Und ginge das denn: Die Sonne vom Himmel holen?

VII.
Am Anfang schlafen wir gar nicht.
Aus Übermüdung unvermittelt Nasenbluten bekommen lange
Fruchtmesser ins Herz stechen, waschen uns so lange bis wir bluten,
mit den Händen das Wasser aufhalten Brotreste von der
Wasseroberfläche schöpfen.
Ganz leise.
Keiner spricht dabei.
Keiner.
Nein, nichts ist in Ordnung.
An die Tür trommeln.
Viele nehmen sich das Leben dann zwischen Kasten und Bett.

VIII.
Ein mal eins ist, eins.
Zwei mal eins ist, zwei.
Drei mal eins ist, drei.
Vier mal eins ist, vier.
Fünf mal fünf ist, fünf.
Wasserwerfer verbrennen einem Jungen die Augen, er wird nie
mehr wieder richtig sehen können.
Die Regierung wollte meinen Vater mit siebenhundert Dollar
entschädigen, „so viel ist hier ein Leben wert“ sagt er klagend als
mein Bruder tot zurückgebracht wird.
Am nächsten Tag kommen sie wieder, am übernächsten und
übernächsten auch.
Wir erkennen ihn dann an seinem T-Shirt wieder, der Kopf blutig
geschwollen.
Verwandte und Nachbarn gehen mit runter zum Fluss, stehen
zusammen schweigend am Ufer.
Dies ist ein krankes Land.
Ein geschlossenes System auf zweitausend Quadratkilometer, in
dem die Bewohner keine Gegenwehr mehr zeigen, weil das andere
ihre gesamte Aufmerksamkeit braucht: Wo ist er der Mensch
in mir?
Die starr vor Entsetzen sind, wenn sie sehen wie das Herz
hinterherschlägt.
Die Regierung ist aufs Töten aus.
Stellt täglich neue Fallen auf.
Bringt Wahlurnen in entlegene Gegenden.
Verbietet es sich zu irren.
Sprüht farbige klebrige Flüssigkeit.
Sprüht Tränengas.
Und dazwischen das Lametta vergangener Feste, als gelte es die
Welt anzuzünden.
Warum sind sie so wütend auf uns?
Wer hat das Recht?
Der Vater sagt „Ich kann dich nicht schützen“, dann verschließen
sie seine Nase mit Klebeband so dass er erstickt und ich
wegschauen will, sie mich aber zwingen zuzusehen über Minuten.
Ihn nicht mehr berühren dürfen.
Ich nicht einmal mehr seinen Hals berühren darf, jene Stelle wo
meine Hand beim einschlafen liegt.
Dann schicken sie mich weg.

IX.
Mein Name ist Ivan.
Am besten wäre es es gäbe mich nicht.
Zwölft Jahre, sieben Monate, es ist genug schon lange.
Ich möchte einfach nur schlafen.
Ohne Licht schlafen.
Viele, viele Stunden in Ruhe schlafen, nicht dauernd
hochschrecken, ich habe solche Angst nachts allein in dieser Stadt
mit den vielen toten Menschen, wie sie auf der Straße liegen in
Wohnungen und Kellern.
Lächelnd mir den Kopf gegen die Brust rammen: Dafür ist es jetzt
zu spät.
Weil ich nicht mehr will.
Weil das Fleisch der Menschen geruchlos geworden.
Weil weggehen und nicht wieder kommen mir das Herz bricht.
Allen hier das Herz bricht.
Ein jeder geruchlos wird.
Vater, Mutter, Kind.
Was, wenn der Schmerz nicht vergeht?
Der starke Wunsch nach dem anderen nicht nachlässt?
Kein Hoffen.
Nirgends.
Kein Grund.
Und ich keine Fragen mehr habe.
Wovon soll ich noch träumen?
Wenn einfach nichts mehr übrig ist so kurz vor dem Ende der Welt.
Nicht viele Lieder halten das aus.

X.
An meinem letzten Abend schaue ich stundenlang aus dem Fenster.
Die Blumen sind von den Beeten rund um den Spielplatz.
In Sehnsucht nach einer Korrektur, seit ich sieben bin denke ich
jeden Tag daran.
Treffe Vorkehrungen.
Lege mich hin stelle mich taub.
Ich kann alles trainieren.
Mich überfahren lassen.
Oder: Tot umfallen dann.
Am frühen Morgen gehe ich in den Wald.
Suche einen schönen Baum.
Und erhänge mich.
Nicht am Leben bleiben.
Nicht überleben wollen.
Es wird nie wieder gut in dieser Welt.
Die Angst kann nichts!

XI.
Ich lache manchmal und spiele mit den anderen Kindern, das war er
dann der glücklichste Tag meines Lebens.
Und aus.